Was ist lernen?

Aspekte zu meinem Lernbegriff

Mein Verständnis von Lernen greift den Begriff deutlich weiter, als er im herkömmlichen Sinne oft verwendet wird. Ich gehe davon aus, dass unser Gehirn „immer“ lernt, vom Tag unserer Geburt bis zum Lebensende. Am Tag wird gesammelt, in der Nacht wird verarbeitet.

Ich möchte von vorne anfangen, begonnen hat alles 2008 mit meiner Tätigkeit als Lernbegleiter am Lernforschungsprojekt Freie Hofschule Gaisberg und einer Frage, die mir in meinem Umfeld keiner richtig beantworten konnte: „Wie funktioniert Lernen?“. Also machte ich mich selbst auf die Suche und wurde bei der Gehirnforschung und Psychologie fündig, unter anderem bei Gerald Hüther, Dr. Bruce H. Lipton, Dr. Daniel J. Siegel, Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer u.a. Den sich daraus ergebenden Lernbegriff habe ich in verschiedene Bereiche unterteilt, die aber natürlich immer als Ganzes und in Interaktion zu sehen sind:

  1. Physische Entwicklung des Gehirns
  2. Gefühle und Lernen
  3. Beziehungen
  4. Bewusste und unbewusste Anteile des Lernens
  5. Psychischer, seelischer Zustand des Lernenden
  6. Motivation und Interesse

Der erste Bereich (Physische Entwicklung des Gehirns):

Bei unserer Geburt ist unser Gehirn noch ein recht unkoordinierter Haufen von Nervenzellen, die sich erst langsam mit den gemachten Erfahrungen immer mehr sortieren und untereinander vernetzen “Neurons that fire together, wire together.”[1] Beim Heranwachsen wird unser Gehirn also immer weiter und weiter ausgebildet und spezialisiert, z. B. bilden wir mit dem Erlernen einer Sprache unser Sprachzentrum aus. Dieser Prozess ist nie wirklich vollendet, nur werden in höherem Alter nicht mehr neue Bereiche entwickelt, sondern ungenutzte Bereiche umgebaut, hier spricht man von Neuroplastizität. Das Gehirn passt sich also Zeit unseres Lebens an das an, wofür wir es benutzen!

Ein weiterer Punkt bei der Entwicklung unseres Gehirnes, sind die Gehirnfrequenzen, die nicht alle von Anfang an ausgebildet sind.[2]

Ab dem sechsten Lebensjahr kommen Alpha Frequenzen hinzu und wir können jetzt von einem wachen Bewusstsein des Kindes sprechen, obwohl dieses „wach sein“ noch recht viel davon hat, wie es uns als Erwachsenen geht, wenn wir aufstehen und wach sind, aber doch noch nicht so recht entscheidungsfähig sind. Das Kind kann sich zwar zunehmend gegen etwas abgrenzen, hat aber noch nicht die Möglichkeit, es zu analysieren und zu verstehen. Alle logischen Erklärungen werden nicht viel fruchten, da nur die real erlebten Erfahrungen und gelebten Notwendigkeiten wirklich ankommen.

Erst etwa mit dem zwölften Lebensjahr treten Beta Frequenzen auf und wir können von einem Bewusstsein sprechen, wie wir Erwachsenen es haben mit der Möglichkeit, sich aus sich heraus auf etwas zu fokussieren, zu abstrahieren und zu urteilen. In diesem Alter setzt zeitgleich die Pubertät[3] ein und die/der Jugendliche erlebt durch das Erwachen seiner Urteilsfähigkeit eine „Entzauberung“ seiner vorher noch „heilen Welt“.

Erst ab dem 21. Lebensjahr treten Gamma Frequenzen auf. Sie sind wenig erforscht. Deutlich ist jedoch, dass sie bei höchster geistiger Anstrengung und Konzentration auftreten und sich das Bewusstsein für Raum und Zeit verändert.

Der zweite Bereich (Gefühle und Lernen):

Es ist inzwischen klar, dass ein entscheidender Faktor für alles Lernen Gefühle sind, da im Gehirn alles hochvernetzt abgespeichert wird. Es wird z. B. ein bestimmter erlernter schulischer Inhalt immer mit der jeweiligen Situation, den gemachten Erfahrungen und dem empfundenen Gefühl gemeinsam abgespeichert. Zudem ist wichtig zu wissen, dass für seelischen oder körperlichen Schmerz oder Unbehagen die gleichen Gehirnareale zuständig sind, also sind physischer Schmerz/Unbehagen mit seelischem Schmerz/Unbehagen gleichzusetzen. Es ist sogar in gewisser Weise noch schlimmer, da bei physischem Schmerz/Unbehagen meistens eine physische Lösung bereitgestellt werden kann. Wenn ein Kind auf die heiße Herdplatte greift, empfindet es Schmerz – Mama oder Papa kühlen die Verbrennung und trösten das Kind – und es wird dies sicher nicht mehr tun. Es hat für den Rest seines Lebens abgespeichert: „Herdplatte kann heiß sein, also nicht anfassen.“ Wenn ein Kind nun seelischen Schmerz erfährt, wird die gleiche Reaktion ausgelöst und das Gehirn sucht nach einer Lösungsstrategie. Ein Kind erfährt z. B. wiederholte Demütigungen in der Schule – diese müssen oft gar nicht einmal böse gemeint sein, werden aber individuell so empfunden – darauf kommt es an! Jetzt wäre eine logische Reaktion auf den erfahrenen Schmerz zu sagen, Schule tut weh, insofern gehe ich nicht mehr hin. Diese Problemlösungsstrategie darf aber nicht angewandt werden, denn das Kind muss ja in die Schule gehen, und schon haben wir ein ziemlich großes Dilemma…

Ein Kind kann ein solches Dilemma nicht lösen und dann setzen seelische und auch körperliche Symptome ein. Natürlich trifft das gleiche auf positive freudvolle Erfahrungen zu, also wo Freude empfunden wird, möchte ich hingehen und bleiben. Nicht umsonst sagt Gerald Hüther: „Begeisterung ist wie Dünger für das Gehirn“. Das ist der Punkt, an dem angesetzt werden sollte, da wir wissen, dass Dank der Neuroplastizität hier im Laufe der Zeit negative Erfahrungen durch positive überschrieben werden können.

Der dritte Bereich (Beziehungen):

Besonders im Kindergarten und in den Schuljahren bis zur Pubertät sind für Kinder aufgrund ihrer vorher besprochenen Gehirnentwicklung, positive Beziehungen zu den Erwachsenen in ihrem Umfeld der Schlüssel zu einer guten Entwicklung und im schulischen Zusammenhang zu erfolgreichem Lernen. Sagen nicht viele SchülerInnen zum einen „die/den LehrerIn finde ich doof, bei dem kann ich nichts lernen“ und zum anderen „die/der LehrerIn ist toll, bei dem geht das Lernen ganz leicht“. Stimmt die Chemie zwischen LehrerIn und SchülerIn geht das Lernen des schulischen Stoffes fast immer. Das ist aus dem vorher Beschriebenen nachzuvollziehen, denn fühlt sich das Kind aufgrund seiner noch nicht so ausgebildeten Urteilsfähigkeit von einem Menschen, der ihm Vorbild ist, verstanden und geliebt, wird dieses Gefühl mit Tätigkeit, Inhalt, Schulstoff in Verbindung gebracht. Mit Einsetzen der Pubertät wird das erwachsene Vorbild kritischer betrachtet. Wenn es jedoch dieser Kritik standhält, kann es weiter Schlüssel zu erfolgreichem Lernen sein. Zudem werden in diesem Alter die Gleichaltrigen (Peer-Group) zu wichtigen PartnerInnen.

Der vierte Bereich (Bewusste und unbewusste Anteile des Lernens):

3-6 Jahre

Schon allein aufgrund der oben beschriebenen Gehirnentwicklung werden Lernprozesse erst mit der Pubertät zu bewussten Prozessen, vorher ist dies ein völlig unbewusster Prozess. Nehmen wir an, ein Kind erlernt seine Muttersprache: dieser Prozess ist mit sechs Jahren weitgehend abgeschlossen. Das Kind hat einen seinem Umfeld entsprechenden Wortschatz von 5000 bis 8000 Begriffen, den es nicht bewusst auswendig gelernt hat. Es hat unbewusst die gesamte Grammatik der Sprache gelernt und kann Wortschatz und Grammatik richtig anwenden. Graphisch könnten wir uns das ungefähr so vorstellen:

Der überwiegende Teil läuft unbewusst ab – laufen, sprechen, zählen usw. – und ein kleiner Teil bekommt ein wenig situatives Bewusstsein. Alle gemachten Erfahrungen und Gefühle werden gespeichert und, sobald die gleiche Erfahrung wieder gemacht wird, gibt es eine Rückmeldung von der schon einmal gemachten Erfahrung (auch in Form eines Gefühls), es wird bestätigt, korrigiert oder auch umgeschrieben. Alle diese Erfahrungen und Gefühle sind tief im Unterbewusstsein verankert und begleiten uns unser ganzes Leben. So kommen dann Kinder in die Schule, die schon einen ganzen Rucksack voll unterbewusster Erfahrungen mitbringen, die dann in der Schule unter Umständen über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.

6-12 Jahre

In den Jahren bis zur Pubertät kann man sich das graphisch ungefähr so vorstellen:

Der bewusste Anteil nimmt nun zu, wobei der unterbewusste Teil noch sehr groß ist. Im Prinzip können nur gelernte Inhalte aus dem Großhirn abgerufen werden. Wichtig ist zu bedenken, dass schulische Inhalte immer zusammen mit dem gemachten Gefühl – welches wiederum auch mit der Beziehung zur Lehrperson zusammenhängt – in unser Großhirn geschrieben und so auch wieder abgerufen werden. Also wenn das Kind eine positive Erfahrung mit einem Inhalt macht und am besten auch noch eine gute Beziehung zur Lehrperson hat, dann wird es, wenn es wieder mit dem Inhalt konfrontiert wird, den Inhalt erinnern und dabei ein positives Gefühl haben. Leider gilt das gleiche auch für negative Erfahrungen und Beziehungen zu Lehrpersonen. Man muss sich einfach verdeutlichen, dass ein Kind in diesem Alter, zum größten Teil unbewusst, alle Erfahrungen, Gefühle, Beziehungen und Inhalte in einer Art und Weise gemeinsam abspeichert, dass sie bei Reaktivierung vornehmlich ein Gefühl oder eine Routine auslösen. Ist ein Kind z. B. in den ersten ein bis drei Jahren seiner Schulkarriere schlecht im Rechnen, hat das unter Umständen fatale Folgen für die weiteren Jahre in Rechnen und Mathematik. Warum? Das Kind hat in einem frühen Alter gelernt, das es Zahlen nicht versteht, es hat also im „Rechnen nichts gelernt“ es hat aber „gelernt, dass es nicht rechnen kann“. Jetzt wird dieses Kind unter Umständen sein Leben lang ein Problem mit Zahlen haben, weil die verzweifelten Versuche der Lehrpersonen und der Eltern dem Kind das Rechnen beizubringen nur dazu geführt haben, dass das Muster „ich kann nicht rechnen“ noch verfestigt wurde. Um die Frustration und den Misserfolg auszuhalten, passiert etwas Fatales, wenn dieses Kind wieder falsch rechnet, springt sein Belohnungssystem im Gehirn an, weil es wieder einmal den Beweis dafür bekommen hat, dass es nicht rechnen kann. Dadurch wird es sehr schwierig sein, dem Kind das Rechnen beizubringen, da es immer den Versuch – und dies nicht bewusst – machen wird, den Beweis zu erbringen, dass es nicht rechnen kann, da dieser ja von seinem Gehirn belohnt wird. Ich habe hier das Beispiel Rechnen angeführt, weil ich hiermit die meiste Erfahrung habe, da ich schon mit 16 Jahren meinen MitschülerInnen Nachhilfe in Mathematik gegeben habe. Man kann es aber auf alle Fächer und Erfahrungen, die ein Kind in den ersten sechs Jahren seiner Schulzeit macht, übertragen – sowohl die positiven als auch die negativen.

Es ist in diesem Alter besonders wichtig, dass wir bei der Gestaltung der Lernumgebung und der Lernprozesse darauf achten, dass wir den Kindern die Möglichkeit geben…

  • negative durch positive Erfahrungen zu ersetzen
  • negative Erfahrungen nicht verstärken[4]
  • neue positive Erfahrungen ermöglichen
  • negative Muster durch positive ersetzen
  • negative Muster nicht bedienen
  • positive Muster anlegen
  • usw.

12-24 Jahre

Mit dem zwölften Lebensjahr und der dann auch langsam einsetzenden Pubertät beginnt ein neuer Abschnitt. Das heranwachsende Kind fängt zum ersten Mal an (wie oben bei der physischen Entwicklung des Gehirns schon beschrieben), bewusst über die Welt, sein Umfeld und sich selbst zu reflektieren. Das ist nicht etwas, was auf einen Schlag passiert, sondern eine Entwicklung, die erst mit dem 21. bis 24. Lebensjahr abgeschlossen ist. Wir sehen hier im Übergang von Kindheit zu Jugend zum Erwachsenen ein fortschreitendes Bewusstwerden, bei dem die/der Heranwachsende immer mehr Zugriff auf die unbewussten Anteile seines Lernens und des Gelernten bekommt. Wichtig dabei ist zu beachten, dass gerade in den Anfängen, aber auch bis hinein ins Erwachsensein die unbewussten Anteile noch sehr großen Einfluss auf unser Denken, Fühlen und Lernen haben. Wir müssen uns ja nur vor Augen führen, was mit uns passiert, wenn wir uns an eine angenehme oder unangenehme Situation aus unserer Schulzeit erinnern. – Welche Gefühle steigen auf? Welche Bilder entstehen? Was passiert mit unserem Gesamtzustand?

Graphisch will ich das wie folgt darstellen:

Was bedeutet das für das Lernen und den Umgang des Kindes/Jugendlichen mit sich selbst?

Wir können – auf das Alter abgestimmt – in zunehmendem Maße…

  • abstrakte Inhalte erarbeiten
  • logische Zusammenhänge erfassen
  • bewusst lernen
  • vergleichen und bewerten
  • Gefühle analysieren und reflektieren
  • das eigene Denken analysieren und reflektieren
  • gemachten Erfahrungen bewusst reflektieren
  • unterbewusstes bewusst machen

Kurz: das Kind und dann den Jugendlichen an das heranführen, was für uns als Erwachsene selbstverständlich ist.

Bedenken sollten wir dabei, dass die gemachten Erfahrungen aus der Vergangenheit und der Gegenwart nur in dem Maße an Bedeutung für das Unbewusste verlieren, in dem diese bewusst gemacht worden sind. Es also auch noch in diesem Alter wichtig ist, bei der Gestaltung der Lernumgebung und der Lernprozesse darauf zu achten, dass wir den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben…

  • die eigenen Erfahrungen bewusst zu bekommen und zu reflektieren
  • das eigene Lernen bewusst zu bekommen und zu reflektieren und dadurch
  • bewusst negative durch positive Erfahrungen zu ersetzen
  • negative Erfahrungen nicht verstärken [5]
  • neue positive Erfahrungen ermöglichen
  • negative Muster durch positive ersetzen
  • negative Muster nicht bedienen
  • positive Muster anlegen
  • usw.

Der fünfte Bereich (Psychischer, seelischer Zustand des Lernenden):

In welcher seelischen Verfassung ist das Kind die/der Jugendliche im Moment? Wie wir jetzt aus der Gehirnforschung[6] wissen, ist diese Frage essenziell für jedes Lernen. In Anlehnung an Gerald Hüther bezeichne ich dies als inneren (seelischen) Aufzug, der von einem Zustand, in dem man sich ganz wohl fühlt und kreativ sein kann, über Anspannung, Stress bis hin zu großer Angst und Panik reicht. Im obersten Bereich ist Lernen immer positiv belegt und geschieht in jungen Jahren völlig spielerisch, später kann hier dann wirkliche Kreativität entstehen. Bildlich kann man sich das ungefähr wie folgt vorstellen:

Bei kleinen Kindern ist dieser Zustand fast ausschließlich von außen gesteuert, d. h. sie sind darauf angewiesen, dass ihr Umfeld (Eltern/Betreuer) es schaffen, mit ihnen diesen Aufzug möglichst weit oben zu halten, also Bedingungen zu schaffen, in denen das Kind stressfrei spielen und leben kann. Wie essenziell dies für die weitere Entwicklung ist, geht ja aus dem im vorherigen vierten Bereich beschriebenen hervor.

Mit der Einschulung ändert sich, was die Selbststeuerung des Kindes betrifft erst mal noch nicht viel – es bleibt die Verantwortung bei den begleitenden Personen (jetzt ein erweiterter Kreis), dass das Kind in einem seelischen Zustand ist, in dem es neue Erfahrungen und Inhalte positiv aufnehmen und verarbeiten kann. Denn ist das Kind beim Erstkontakt mit einem Inhalt, beim Erlernen eines Stoffes im Stress oder gar in Angst und Panik wird – abgesehen davon, dass nichts gelernt wird, – die negative Erfahrung sofort ins Unterbewusstsein geschrieben (vierter Bereich) und beim nächsten Kontakt wieder reaktiviert. Wozu dies führen kann, kann sich sicherlich jeder vorstellen oder hat es schon selbst erlebt. Was sich jedoch ändert, ist, dass wir ab diesem Alter – vorausgesetzt Aufzug ist ganz oben – mit dem Kind Lösungsstrategien entwickeln können, wie es mit Stress und Angst umgehen und wie es wieder in einen sicheren stressfreien Zustand kommen kann.

Mit dem zwölften Lebensjahr beginnt – und ich möchte betonen, sie beginnt, sie ist noch in keinster Weise ausgebildet – die Phase, in der das Kind, die/der Jugendliche seinen seelischen Zustand bewusster selber steuern kann. Sie/er können bewusst wahrnehmen, was mit ihnen seelisch passiert, und können Strategien entwickeln, wie sie damit umgehen können. Wichtig dabei ist, dass dieser Prozess von einer Person, zu der sie/er eine gute Beziehung hat, begleitet ist, denn nur so werden wirklich gute Strategien angelegt und es entstehen nicht Urteile und Projektionen auf die Umwelt, so dass die Schuld außen gesehen wird. Wie zum Beispiel:

  • die Lehrerinnen der Lehrer sind doof
  • der kann nicht erklären, deswegen lerne ich nichts
  • das Fach gefällt mir nicht und ich brauche es nicht
  • usw.

Es ist wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen in dieser Altersstufe die richtigen Strategien erlernen, um ihren „Aufzug“ selber zu managen, am Anfang mehr spielerisch und mit zunehmendem Alter bewusster und selbst gesteuert. Hiermit bekommen sie ein Handwerkszeug, welches sie ihr ganzes Leben lang nutzen können.

Wichtig ist auch zu bedenken, dass in der Pubertät die Jugendlichen – physisch bedingt – oft unter Lustlosigkeit und Unzufriedenheit mit sich selbst leiden. „Fest steht, dass das Gehirn des Menschen um die Zeit der Pubertät herum besonders deutliche Veränderungen erfährt, die insbesondere das Frontalhirn betreffen. Genau hier jedoch liegen die höheren und höchsten geistigen Leistungen wie Planen von Zukunft, Verfolgen langfristiger Ziele, Aufschub kurzfristiger Belohnungen (Hemmen reflexartiger impulsiver Handlungen), kurz: das Wahre, Schöne und Gute, das Spielen und die Freiheit.“[7] Des Weiteren weiß man das es zu einem Abbau von Dopamin Rezeptoren kommt und dadurch Jugendliche lust- und antriebslos werden, als Folge davon werden sie aber auch risikofreudiger, um eine Stimulation auszulösen.[8] Hier sind wir als Erwachsene besonders gefordert, weil wir zum einen verständnisvoll auf den Jugendlichen eingehen sollten, zum anderen aber auch notwendige und wichtige Grenzen setzen müssen.

Der sechste Bereich (Motivation und Interesse):

Die „Motivation“, ein Begriff, auf den wir im Zusammenhang mit Lernen immer wieder stoßen. Aber was hat es denn auf sich mit dieser Motivation? Sehr interessant sind hier Reinhard K. Sprengers[9] Ausführungen. Wir können sie eben nicht von außen erzeugen bzw. wenn wir dies tun, passiert genau das Gegenteil von eigentlicher Motivation, nämlich Motivierung. Was ich damit meine, ist, dass im Regelfall für Motivierung Belohnung, Bestrafung oder andere extrinsische Reize verwendet werden, was über kurz oder lang dazu führt, dass die Reizschwelle immer höher gesetzt werden muss und jegliche intrinsische Motivation völlig verschwindet. Ein Beispiel: Möchte ich nun, dass ein Kind in der dritten Klasse für einen Test in der Schule lernt, werde ich ihm zur Motivierung den Anreiz bieten, dass es, wenn es den Test besteht, mit mir zu McDonald‘s zum Essen gehen darf. Spätestens beim nächsten Test wird das Kind sagen, nun wenn ich den Test gut bestehe, gehen wir ja zu McDonald‘s essen. Und wir können uns mit ziemlicher Sicherheit darauf verlassen, dass das Kind am Jahresende Fragen wird, was bekomme ich, wenn ich ein gutes Zeugnis habe? Und jedes Mal werde ich, um die Motivierung aufrecht erhalten zu können, ein wenig „drauflegen“ müssen. Wir können das Spiel so weiter machen und werden wahrscheinlich beim Abitur bei einem Sportwagen oder eine Reise auf die Seychellen landen. Und was habe ich gemacht? Ich habe bewirkt, dass das Kind und später der Jugendliche etwas getan hat, nicht, weil er z. B. ein Interesse für den Stoff hatte o. ä., sondern weil er die Belohnung haben wollte. Damit habe ich ihm aber den Weg zu einem eigenen Interesse z. B. für den Stoff verbaut, weil ich seinen Fokus auf die Belohnung gerichtet habe. Zudem habe ich ihm auch die Verantwortung genommen, denn die Bewertung und Belohnung wurde in fremde Hände gegeben. Das hört sich jetzt erst mal etwas paradox an, aber an dieser Stelle ein anderes Beispiel: wenn ein Kind z. B. das Malen für sich entdeckt hat – braucht es da externe Motivierung, um das Kind wieder zum Malen zu bringen oder wird das Kind ganz von selbst aus eigener Motivation immer wieder malen wollen? Wie kritisch wird es seine Werke selbst beurteilen? Wie oft wird es ein Bild noch einmal malen, wenn es ihm nicht gefällt? Mit welchem Stolz und welcher Freude wird es ein aus seiner Sicht gelungenes Bild anderen zeigen? Hier entsteht Motivation und sie kommt eben aus dem Kind selbst heraus und nicht von außen.

Aus meiner Sicht ist jede extrinsische Motivierung für das Lernen von Kindern und Jugendlichen (aber auch Erwachsenen) hinderlich, wohingegen jede intrinsische Motivation ein Motor für das Lernen ist. Dazu Gerald Hüther: „Belohnung und Bestrafung sind Dressurmethoden. Wer sie einsetzt, verhält sich wie ein Eseltreiber, der seinen Esel entweder mit der Peitsche oder einem Bund Möhren zum Laufen bringen will. Das funktioniert nicht. Im Gegenteil. Der Esel macht die Erfahrung, dass es ihm immer besser gelingt den angedrohten Schlägen zu entkommen oder eben die Möhren zu schnappen, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Manche Esel bringen es darin zu wahrer Meisterschaft.“

Vorweg zur Klärung: mit Interesse meine ich nicht „Bock“ haben, also ob jemand Lust hat oder nicht. Kinder und Jugendliche haben durch alle Altersgruppen immer Interesse und wollen die Welt kennen und verstehen lernen. Eltern und Lehrpersonen spielen hier aus meiner Sicht eine nicht zu unterschätzende Rolle, denn Kinder und auch Jugendliche knüpfen, im Regelfall, an das Interesse ihres Vorbilds sehr gut an. Wenn wir als Erwachsene es schaffen wirkliches Interesse für ein Thema, einen Stoff zu entwickeln, dann können wir leicht das Interesse des Kindes oder Jugendlichen wecken. Fehlendes Interesse deutet jedoch oft darauf hin, dass etwas schiefgelaufen ist, also das Kind Erfahrungen gemacht hat, die dazu geführt haben, dass es eben das Interesse verloren hat. In der heutigen Zeit spielen digitale Medien in Form von Film, Spiel und Social-Media hier eine große Rolle [das würde hier den Rahmen sprengen und wird an anderer Stelle behandelt.].

Resümee

Wenn bei den ersten fünf Bereichen optimale Bedingungen herrschen, dann hat jedes Kind und jede/r Jugendliche Interesse, seinem Alter entsprechende schulische Inhalte zu lernen und ist im besten Fall auch noch hochmotiviert dabei.

Ich weiß, dass diese Bedingungen in vielen Fällen gar nicht geschaffen werden können, aber es kann der Versuch unternommen werden, diese im Bewusstsein zu haben und zu versuchen, sich ihnen zumindest anzunähern.

Artikel als PDF

[1] Donald Hebb, kanadischer kognitiver Psychobiologe und Professor für Psychologie, „Hebbsche Lernregel“

[2] Bruce Lipton: “Intelligente Zellen: Wie Erfahrungen unsere Gene steuern” KOHA-Verlag (2006)

[3] Dr. Daniel J. Siegel: „Aufruhr im Kopf: Was während der Pubertät im Gehirn unserer Kinder passiert“ mvg Verlag (2015)

[4] Es kann unter Umständen das Legasthenie-Training für ein/e LegasthenikerIn mehr negative als positive Effekte haben, da hier das Muster und die negative Erfahrung mit den Buchstaben nur noch gefestigt, statt aufgelöst wird.

[5] auch hier gilt, wie bei den sechs- bis zwölfjährigen, dass Trainings und Nachhilfe unter Umständen negative Muster und Erfahrungen noch verstärken und deshalb eher kontraproduktiv als produktiv sind. Erst ab einem Alter, wo das Kind bewusst selber will (15-18J.), ändert sich dies.

[6] Gerald Hüther: „Den Übergang meistern - Von der Ressourcenausnutzung zur Potentialentwicklung“, Auditorium Netzwerk (2009), „Biologie der Angst: Wie aus Streß Gefühle werden“, Vandenhoeck & Ruprecht (2016)

[7] Manfred Spitzer: „Pubertät im Kopf“ Nervenheilkunde 7/2008

[8] Laurence Steinberg: „A Social Neuroscience Perspective on Adolescent Risk-Taking“ 2008

[9] Reinhard K. Sprenger: „Mythos Motivation: Wege aus einer Sackgasse“ Campus Verlag (2014)

Bild von Iatya Prunkova auf Pixabay

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